Verzichten oder Freiheit?
Seelische Störungen wie Unruhe, Schlaflosigkeit, Angst und Überforderung haben meistens mit einem übergroßen „Wollen“ zu tun, darin sind sich die antiken Philosophen einig. Wir kennen diese Störungen nur zu gut.
Das Wollen bezieht sich meistens auf äußere Ziele wie Auto, Haus, der alljährliche Sommerurlaub im Süden, das Streben nach einer besseren Stellung in der Firma. All das soll passen, soll sich wie ein Puzzle in ein perfektes Lifestyle Leben fügen. Die Vorgaben dazu finden wir massenweise auf Youtube oder Instagram und in Hochglanzmagazinen. Wir kommen an den Punkt im Leben, an dem wir das alles erreicht haben und fühlen uns trotzdem ausgebrannt und leer oder leiden an einer der genannten Störungen.
Überprüfe deine Wertevorstellungen, raten die alten Philosophen. Okay, ich mache mich an die Arbeit und frage:
Wozu brauche ich den neuen BMW?
Geht es mir um Status? Erhoffe ich mir Anerkennung?
Liebe ich es, schnell zu fahren?
Will ich nur von A nach B kommen?
Brauche ich das große Auto, weil ich viel fahre und der Sicherheitsaspekt eine Rolle spielt?
Ich gehe die Gedanken durch. Es gibt verschiedene Antworten darauf. Vielleicht erkenne ich an der Stelle, dass es ein gewagtes Unterfangen ist, sich auf die Anerkennung anderer Menschen zu verlassen. In dem Moment setze ich voraus, zu wissen, was die anderen denken werden. Das ist kaum möglich. Wie viel ist mir diese Art der Anerkennung wert? Mal abgesehen davon: Was will ich eigentlich? Vielleicht ist die Antwort darauf: Ja, ginge es nur um mich, mir würde ein kleiner Renault reichen. Möglicherweise steht dieser Gedanke ganz am Ende. Das kleine Auto macht mit der Finanzierung keine Sorgen, der große BMW mit 48000 Euro treibt mich umso mehr in ein System, von dem ich weiß, dass es mir nicht gut tut.
Wie lautet nun die Entscheidung? Ich lasse das gerne an dieser Stelle offen, jeder mag für sich entscheiden. Wichtig ist aber der vorausgegangene gedankliche Prozess. Wir stärken damit unsere innere Haltung und überprüfen unsere Wertevorstellungen. Darauf sollten wir oft zurückkommen und uns täglich fragen, was uns wichtig ist und was wir uns zurechtgelegt hatten.
Verzicht ist Verlust und aus Verzicht kann Freiheit werden:
Ja, es gibt hier nichts zu beschönigen. Auf etwas zu verzichten, fühlt sich tatsächlich an, wie etwas herzugeben, das uns lieb und teuer ist.
Ein frischgebackener Nichtraucher fragt sich sicherlich, wie er ohne das berauschende Gefühl der Zigarette weiterleben soll. Erst nach ein paar Wochen stellt er fest, dass er nicht mehr gezwungen ist, bei Regen und Wind nach draußen zu gehen, sondern, dass er selbst darüber entscheidet. Er selbst bestimmt über sein Leben und nicht die Zigarette. Das Beispiel mit dem Auto: Also gut, diesmal nur der Renault dafür aber kein neuer Kredit. Ich muss also nicht mehr so viele Überstunden machen, kann öfter nein sagen und nutze vielleicht ein Teil des Geldes, um über die Alpen zu wandern.
Die Klimadebatte fordert uns dazu auf, über unser Leben nachzudenken. Natürlich brauchen wir hinsichtlich der Ernährung, des Reisens und der Wirtschaft ein Umdenken hin zu gesunden Verhältnissen. Aber denken wir auch daran, dass hinter jedem Verzicht Freiheit stehen kann.